We Are doing well. Das ist erst mal ein ziemlich breitschultriges Statement – speziell in diesen Zeiten. Aber wie immer kommt es auf den Kontext und den Absender an. Und der ist hier eben Joo Kraus. Ein Musiker, der am liebsten Genregrenzen und Stiletiketten auflöst und Musik so macht, wie er lebt: frei und fühlend. Gut möglich also, dass das Album ein paar Extra-Dimensionen birgt. (Spoiler: Ja, tut es.)
Vier Jahre ist es her, seit Joo Kraus mit dem Album JooJazz anklingen ließ, wohin er musikalisch unterwegs ist: Von seinem Heimatplaneten Jazz aus geht er auf immer ausgedehntere Entdeckungsreisen, um jenseits jeder Crossover-Orthodoxie mit Sternschnuppen aus anderen Galaxien zu spielen – heißen sie nun Soul, Funk, Pop, Latin oder Elektro. Die Musik, die Joo von diesen Reisen mitbrachte, war schon auf JooJazz ein ohrenöffnendes Ereignis. Doch We Are doing well öffnet den Horizont noch weiter: In den 10 Songs lässt er einfach alle Kategorieleinen los, überlässt sich dem Flow – und findet dabei vielleicht eine neue Heimat, weil er sie nicht gesucht hat: grenzenlos spielfreudig, virtuos vogelfreiwild und absichtslos tiefsinnig. Willkommen in Jootopia.
We Are doing well kommt aufs erste Reinhören ganz schön gut gelaunt daher – ja, es geht uns verdammt gut hier: mit diesen oldschooligen funky Beats und Riffs, dieser federleicht intonierenden Trompete, die so virtuos ist, dass sie es nicht mehr beweisen braucht, mit diesen freestyligen, halb gerappten und halb gesungenen Vocals, und mit Arrangements, die zwischen freier Assoziation, Experimentierlabor und musikhistorischem Fundus klingen, als seien sie einfach so passiert.
Das alles ist eindeutig und entschieden unkommerziell – doch zugleich immens unterhaltsam und eingängig. Wie das möglich ist? „Große Freiheit“, sagt Joo einfach. Und ergänzt: „Die Songs sind diesmal noch freier geworden, weil wir uns noch weniger drum scheren, ob das in irgendeinem Radio gespielt wird oder sonst in kein Format passt.“
Wir – das sind wie immer seine Mitmusiker seit 16 Jahren und zugleich beste Freunde: Schlagzeuger Torsten Krill, der auch für Produktion, Recording, Mixing und Mastering (mit)verantwortlich zeichnet, Kontrabassist Veit Hübner und Pianist Ralf Schmid. Den größten Hut hat Joo Kraus selbst auf – Trompete und Gesang gehen ebenso auf seine Kappe wie Gitarren- und einige Keyboard-Parts sowie Text und Komposition. Wobei hier auch die Band erheblich mit im Boot war: „Bei manchen Stücken hatte ich zunächst nur ein paar Töne, und dann entstand im Studio oldschool-bandmäßig der Song. Wenn wir so zusammen spielen, wird’s richtig elektrisch, und es passiert etwas, das über uns vier hinausgeht“, erzählt Joo.
Das, was darüber hinausgeht, ist es vielleicht auch, was We Are doing well über die gut gelaunte
Frontseite hinaushebt: Jeder Song hat seine eigene Dynamik, weckt Imaginationen und führt an durchaus seltsame Orte. Bei „Count to 4“ geht’s mit Vollgas ins Hippie-Speedjazz-Wah-Wah-Wonderland – mit Frank Zappa als Beifahrer und 70er-Progrock im Radio. „Elvis in Paris“ dagegen gleicht einer Spazierfahrt durch Toontown – die Häuser schief, die Straßen krumm, das Leben bunt und ziemlich schräg. Und das ist erst der Anfang der Sightseeing-Tour durch Jootopia: Mit „Space Glider“ verlassen wir endgültig alles Feste und Gewisse. Orientfarbene Melodiefragmente fließen durch uns hindurch, vergessene Träume tauchen am Wegesrand auf, eventuell startet so eine Pilgerfahrt ins Unterbewusstsein … are we really doing well?
Hier und jetzt und das Album hörend: Aber ja! Nach dem urban-untergründig mäandernden „Jootopia“ gibt es ein tiefes, friedvolles Ausatmen mit „Love“ – warm und melancholisch interpretiert von Fola Dada.
Und schließlich der titelgebende Song: „We Are doing well“: Okay, das ist tatsächlich ein Statement – auch musikalisch. Startet cool, breitet sich dann überraschend aus und durchmisst in vier Minuten mehrere Jahrzehnte und Stimmungslagen. So mehrdeutig wie der Sound ist auch die Botschaft: „Klar, einerseits geht’s uns wirklich gut – aber viele Menschen, auch ich selbst, neigen auch dazu, sich in ihre heile kleine Welt zurückzuziehen, obwohl da draußen schon längst der Hurrikan tobt. Oder vielleicht auch nicht?“Joos Frage bleibt unbeantwortet im Raum. Sicher ist eh nichts. Außer vielleicht: Solange wir Musik wie die auf We Are doing welL hören dürfen, geht es uns in jedem Fall viel, viel besser.
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