Zunächst können wir uns von der Idee verabschieden, hier sei alles klar und eindeutig. Obwohl eigentlich vieles für diese Idee zu sprechen scheint: eine Trompete, ein Klavier – was sollte da unklar sein? Alles beginnt in melodisch-melancholischer, ein wenig rau und brüchig klingender, souveräner Einsamkeit, mit der die gestopfte Trompete das erste Stück eröffnet; das Klavier gesellt sich etwas später dazu, anfangs mit zu Arpeggien aufgelösten Akkorden, dann mit einem sehr sparsamen Solo, das die melancholische Färbung auf präzise Weise aufnimmt. Hier wird keine Note zu viel gespielt. Hier weiß jeder genau, was zu tun ist und was dabei herauskommen soll.
Das ist auch kein Wunder, denn die beiden Musiker, die sich hier zum Duo zusammengefunden haben, sind erfahrene, raffinierte Komponisten und Improvisatoren. Der polnische Pianist Krzysztof Kobyliński arbeitet in einem musikalischen Feld, das man grenzüberschreitend nennen kann, wenn man der Auffassung ist, dass zwischen zeitgenössischem Jazz, osteuropäischer Volksmusik und Neoklassik Grenzen gezogen sind. Für Krzysztof Kobyliński existieren solche und auch andere musikalische Grenzen nicht, und ihr grenzüberschreitender Geist verträgt sich wunderbar mit einer großen Zurückhaltung und Genauigkeit des Ausdrucks, die ihn vor jeglicher Süße bewahrt.
Was sollte man auch mit einem solchen Beigeschmack anfangen, wenn der musikalische Partner der französische Trompeter Erik Truffaz ist, der wegen seiner kühlen Artikulation, seiner zuweilen spröden Tongebung und vielleicht auch wegen seiner häufig aufscheinenden Freude an Grooves gelegentlich mit Miles Davis verglichen wurde. Auch Erik Truffaz ist ein Musiker, der mit seiner Musik konventionelle Grenzen ignoriert. Jazz und HipHop und Rock sind nur Etiketten, die er virtuos vermischt, und seine spezielle coolness kann jederzeit auch einen Hang zum Melancholischen und zum Melodischen durchscheinen lassen. Da trifft er sich sehr glücklich mit Krzysztof Kobyliński.
Und wir sind wieder bei der gestopften Trompete. „Give Me November“ heißt das Eröffnungsstück, und welcher Bewohner der gemäßigten Klimazone auf der Nordhalbkugel hätte nicht so seine Assoziationen zum Monat November: Nebel- und Regen-, Besinnungs-, Gedenk- und Trauermonat. Aber Kobyliński und Truffaz lassen sich von Melancholie nicht überwältigen- Auch der Stücktitel lässt schließlich eher an eine Bitte denken als an ein Ausgeliefertsein. Und bei aller spröden Kühle der Artikulation steckt doch auch viel melodische Anmut in der Musik. Die liedhafte Kürze und die intensive, verzierungslose Präzision, die am Klavier und an der Trompete stets mit-klingen, lassen keine nachhaltige Schwermut aufkommen.
Einige der Titel von Krzysztof Kobylińskis Kompositionen legen Spuren von Jahresendzeit-Stimmungen aus: „Autumn“ oder auch „Vigilia“ (was soviel wie Vorabend bedeutet, in Polen aber auch das Heiligabend-Fest bezeichnet); und wenn man schon so weit ist, dann ist auch „La Sagrada Familia“ nicht nur die berühmte Kathedrale in Barcelona, sondern eben auch die heilige Familie, und „Nativa“ bedeutet nicht nur „einheimisch“, sondern weist auch auf das spanische Wort „la navidad“ für Weihnachten. Zum tänzerischen „Nativa“ gesellt sich zwanglos „The Moon“. Es geht also sehr festlich zu auf diesem Album – und zutiefst romantisch.
Was aber ist „romantisch“? Vergessen wir den verkitschten Unsinn der hollywoodhaften Verwendung dieses Wortes. „Romantisch“ war in der europäischen Vergangenheit eine programmatische Idee in Musik, Dichtung und Malerei, die sich ihrer eigenen Quellen bewusst wurde. „Romantisch“ war ein emotionaler Gestus von nicht-geborgter Intensität. In diesem Sinne ist die Musik, die Erik Truffaz und Krzysztof Kobyliński zusammen in die Welt setzen, spätromantisch: ganz und gar eigen und authentisch, gelegentlich kurz zurück blickend („Pink Year“), stets mit einem Sinn für Form und Genauigkeit, durchaus auch ironisch eingefärbt. Und immer darauf bedacht, dass das Leichtfüßige und das Schwermütige sich gegenseitig in Schach halten. (Hans-Jürgen Linke)
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