Wenn Künstler*innen in ein anderes Land auswandern, ist eine der größten Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, diejenige, buchstäblich heimatlos zu werden – und zwar nicht im positiven Sinne eines Kosmopolitismus. Im verständlichen Bestreben, die neue Kultur zu verinnerlichen, versuchen viele einen Balanceakt und stehen dabei wackelig auf einem Bein. Am Ende laufen sie jedoch Gefahr etwas Wesentliches zu verlieren: ihre Identität.
Juliana da Silva weiß das aus eigener Erfahrung. Die Künstlerin, die ihr Heimatland Brasilien sehr jung verließ und bereits seit 28 Jahren in Deutschland lebt, erobert die Bühnen in ganz Europa und anderen Kontinenten. Ihr Publikumserfolg und ihre einzigartige Bühnenpräsenz begründen sich darauf, dass sie sich treu bleibt und aus ihren brasilianischen Wurzeln großen Reichtum schöpft. Dabei macht sie gerade ihre kulturelle Identität zu ihrem künstlerischen Kapital. So wählt Juliana ihr Repertoire mit Sorgfalt. Statt in Gattungen und Klischees verhaftet zu bleiben (was in diesem Fall bedeuten würde, sich den Standards des nordamerikanischen Jazz zu unterwerfen), verleiht die Sängerin ihre Stimme großen brasilianischen Komponisten wie Dorival Caymmi („O Bem do Mar“ und „Vatapá“), Baden Powell und Vinicius de Moraes („Deixa“), Moacir Santos („Sou Eu“), Aníbal Augusto Sardinha, auch bekannt als Garoto („Sorriu para Mim“), und Tom Jobim („Luiza“). Außerdem singt Juliana zeitgenössische Kompositionen wie „Vai Samba Meu“ des brasilianischen Musikers – und Ausnahmepianisten des Caixa Cubo Trios – Henrique Gomide.
Julianas Umgang mit dieser Auswahl zeichnet sich durch eine besonders kreative und unkonventionelle Interpretation aus. In ihrer Heimat Brasilien war sie bereits von Kindesbeinen an mit dem Besten umgeben, was die nationale Musik der 70er und 80er zu bieten hat. Unablässig hörte sie im Radio die LPs berühmter Persönlichkeiten wie Chico Buarque, Djavan, Milton Nascimiento, João Bosco und Tom Jobim, und wurde von ihrer Musik nachhaltig geprägt. Zu diesen bekannten Namen gesellten sich große weibliche Interpreten hinzu, die, so Juliana, ihr „den Kopf verdrehten“. Unter den brasilianischen Sängerinnen, die sie nachhaltig beeinflussten, hebt sie vor allem Elis Regina und Elizeth Cardoso hervor. Andere Inspirationsquellen sind internationale Stars wie beispielsweise Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Carmen McRae und Kurt Elling. In den 60er Jahren eroberte João Gilberto mit dem Saxophonisten Stan Getz die nordamerikanische Musikindustrie auf Portugiesisch. Ähnlich erging es 1979 Elis Regina, die das schweizerische Publikum des anerkannten Festival de Montreaux durch ihre einzigartige Darbietung brasilianischer Musik verzauberte. Auch heutzutage werden Sängerinnen wie Rosa Passos und Joyce Moreno von einem japanischen Publikum verehrt, ohne dass es ein Wort ihrer Lieder versteht.
Indem sie verschiedenste Einflüsse mischt, aber gleichzeitig eine ganz eigene Persönlichkeit und kulturelle Identität zum Ausdruck bringt, tritt Juliana da Silva in ihre Fußstapfen. Umgeben von herausragenden Instrumentalisten singt sie unverkennbar brasilianisches Portugiesisch, und weicht dabei graziös und mit einem gewissen Schalk genrebedingten Grenzen aus. Sie beeindruckt durch stimmliches Feingefühl und, ganz wichtig, große Emotionen. Das europäische Publikum hat das Glück, sie regelmäßig auf der Bühne erleben und hören zu dürfen.
Tracklist:
Line up:
Juliana da Silva, voice
Bart van Lier, trombone
Tony Lakatos, tenor sax
Roby Lakatos, violin
Mihály Farkas, cimb
Henrique Gomide, piano
André de Cayres, bass
Bodek Janke, drums
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